Liebe Lisa Winter, meine Damen und Herren,
herzlich willkommen,
es ist immer wieder schön, Sie hier zu sehen, und es ist immer wieder schön, sich auf einen neuen Künstler, eine neue Künstlerin einzulassen. Man lernt etwas über und durch den anderen Menschen, durch die Begegnung. Und ich hoffe, Ihnen geht es ebenso…
Genießen wir es also, so lange es die agri cultura noch gibt.
Als Lisa Winter und ich miteinander telefoniert haben, erzählte ich ihr, dass ich gerade begonnen habe, Margarete Mitscherlichs „Die Radikalität des Alters“ zu lesen. Das Buch habe ich schon vor längerem gekauft und zwischenzeitlich auch verliehen, jetzt gab also der Tod der „Grande Dame der Psychoanalyse“ und die Urlaubszeit den Anstoß, es endlich zu lesen.
Ich erzählte das Lisa Winter und las ihr folgenden Satz vor: „Als Psychoanalytikerin bin ich gewohnt, mir meine Assoziationen zu deuten, nicht nur zu versuchen, Dichtung und Wahrheit auseinanderzuhalten; ich möchte verstehen, warum Dichtung und Wahrheit auf diese ganz bestimmte Weise von mir zusammengefügt werden, möchte mir die Skepsis meinen naiven Rückerinnerungen gegenüber erhalten, ohne die Lebendigkeit frei assoziativen Umgangs mit ihnen zu verlieren. Mit dieser Vorwarnung erlaube ich mir, auf meine Kindheit zurückzukommen und meinen Lebensweg relativ schlicht wiederzugeben, so wie ich glaube, ihn heute objektivieren zu können.“
Lisa Winter, Sie haben es in der Ankündigung gelesen, ist Psychotherapeutin für Tiefenanalyse. Und Künstlerin. Beides hat bei ihr sehr viel miteinander zu tun – die Art und Weise des Arbeitens ist identisch. „Ich bin sehr beeinflusst vom Glauben an das Unbewusste“, sagt Lisa Winter. Beeinflusst ist sie in ihrer Methodik vor allem von dem Soziologen, Sozialpsychologen und Psychoanalytiker Alfred Lorenzer, dem Begründer der Tiefenhermeneutik.
Lisa Winters Bilder entstehen ohne Motiv. Wenn sie malt, lässt sie sich von außen inspirieren, zum Beispiel durch blaue Farbe, die noch übrig ist, und von der Leinwand. Sie fängt an zu malen und hört in sich hinein, lässt ihre Assoziationen fließen, tritt quasi in einen Dialog zwischen innen und außen und in einen Dialog mit sich selbst. Zugleich hat das Procedere etwas Spielerisches.
Sie selbst beschreibt es wie folgt: „Ich lasse mich von dem, was von außen kommt, vom Material lenken. Die Bilder entstehen im Zusammenspiel mit dem Material… oft ist es ein Ringen… ich versuche dem Entstehenden eine Aussage abzuringen, die ich selbst vorher nicht kenne. Das ist das Schwierige daran, dass ich nicht weiß, was ich suche, was ich finden werde. Ich muss mich ganz auf meine Intuition verlassen und darauf achten, wozu das Material mich anregt, auf meine Reaktionen und auf die Impulse, die das Entstehende in mir hervorruft. Intuitiv weiß ich zum Beispiel ich will einen Strich quer über die Leinwand, oder ich habe das Bedürfnis, Überstände abzureißen oder neben einem Stück Pappe die Leinwand gelblich zu patinieren… wie ein Hauch… nach oder während der Ausführung spüre ich dann eventuell… zu derb… zu süß… zu schreiend – oder es entwickelt sich ein Einverstanden-Sein. Das nenne ich Arbeiten mit dem Unbewussten.“
Der Therapeut bezeichnet diese Technik als „frei schwebende Aufmerksamkeit“. Er sitzt da, hört dem Klienten genau und mit Empathie zu und wartet, bis Irritationen kommen, also Diskrepanzen zwischen Aussagen und geschilderten Handlungen. Er weist auf Widersprüchlichkeiten hin Es ermöglicht eine große Komplexität.
Lisa Winter hat es mir sehr schön erklärt: Sie kennen doch sicher den vermeintlich schusseligen Inspektor Columbo, den erst einmal alle unterschätzen, wenn er mit seinem verbeulten Peugeot am Tatort vorfährt. Was macht er? Er schaut sich um und sucht die Irritationen… etwa, wenn nach einem angeblichen Einbruch die Glasscherben draußen vor der Tür liegen.
Anders als Margarete Mitscherlich will Lisa Winter den Prozess aber nicht deuten, sondern sie lässt sich darauf ein, auch wenn die Begegnung wehtut und einen verändern kann. Sie beschreibt die Art der Auseinandersetzung mit einem Zitat von Martin Buber: „Beide Hände ins Feuer, tief hinein.“ – Voraussetzung ist die unbedingte Bereitschaft sich einzulassen, ganz gleich, was da kommen möge.
Malen ist für Lisa Winter die Begegnung mit dem eigenen Ich, hier spürt sie die Welt. In ihren Arbeiten geht es um existenzielle Fragen. Was ist eigentlich mit dem Leben? Wie lebt man das Leben intensiv? Sie ist der Quantentheorie und dem Existenzialismus eines Martin Heidegger nahe, dessen leidenschaftlicher Suche danach, zu verstehen, was ist, wenn wir sind.
Ihr Lieblingsbild „existerra“ vereint ihre Bewunderung für die Welt, angelehnt an das Lateinische terra – Erde und exsistere – entstehen. Die Bewunderung, die Ehrfurcht vor dem Kosmos als großes Ganzes, vor dem Sein und dem Leben, das versucht Lisa Winter in ihren Bildern nachzuvollziehen. Sie zweifelt die Realität nicht an, sie mag es, die verschiedenen Ebenen in der Wirklichkeit zu sehen.
So ist es nur schlüssig, dass manche ihrer Bilder etwas Skulpturales haben, mehrschichtig und zum Teil fast dreidimensional angelegt sind. Lisa Winter mixt die Materialien, arbeitet alles mögliche ein – Papier, Zement, Sand, Kleister, Acryl, Folien, Lacke, Kaffee, Kreide, Kohle, Ölfarben. Sie mal auf Sperrmüll, verfremdet Alltagsgegenstände. Die Arbeiten sind, wie gesagt, mehrschichtig angelegt, sie haben Risse – wie Brüche im Leben – Fenster in den Untergrund, zuweilen drängt das Untere nach Oben.
Bei Lisa Winter ist nicht alles rosarot oder kunterbunt (obgleich wir sogar eine „buntstadt“ haben), Sie sehen viele dunkle Farben. Die Arbeiten sind vielschichtig wie die Welt und das Leben, das Sein.
Jeder kann – ja soll – in den Bildern etwas anderes sehen. Das ist ganz in Lisa Winters Sinne. Die Titel geben Interpretationshinweise. „weine doch du schöne schluchtenwelt… die götter tragen trauer“ ist beispielsweise von Friedrich Hölderlin inspiriert, „das bild im bild im bild“ weist auf Endlosigkeit hin. Manche Bilder erzählen von anderen Welten wie „zauberdrache“, „elfenspiel“, „burgfräuleins festspiele“ oder „ein faun träumt“. Andere sind gesellschaftskritisch wie „anklage – gegen den missbrauch von kindern“ oder „vergessen, verloren, verdammt – all jenen gewidmet, die in unsinnigen kriegen starben“. Mein persönlicher Favorit ist ja „herr fledermaus denkt“, weil es so widersprüchlich ist und zu dem realen Bild Bilder schafft im Kopf.
Schauen Sie mal auf die Signatur. Sie werden sehen: Jede ist anders. Für Lisa Winter ist es ein Spiel, diese Bilder im Bild zu entwickeln. Der abstrakte Fisch ist das Kontinuum, er ist immer dabei.
Wie gesagt, die Titel sind Interpretationshinweise, aber keine verlässlichen. Denn manche Bilder von Lisa Winter haben mehrere Namen.
Überhaupt, die Namen…
Lisa Winter wurde auf Ilse Reimann getauft. Sie gab sich den Namen Lisa Winter, weil er selbst gewählt ist und besser passt. „Eine schöne Freiheit“, wie sie sagt und Privileg des Künstlers, der Künstlerin.
Lisa Winter ist Diplompädagogin, Therapeutin und Künstlerin aus Frankfurt. Neben ihrer eigenen künstlerischen Arbeit ist sie Initiatorin des Kunstfestivals „koku“, bei dem im April dieses Jahres mehr als 300 Künstlerinnen und Künstler an 100 Orten in 40 rheinhessischen Gemeinden zusammenkamen. „koku“ steht für Kommunikation und Kunst. Weitere kleine „kokus“ werden folgen – zum Beispiel eine feste Sendung im Lokalradio, bei der es unter anderem um die Frage geht, ob Kunst glücklich macht.
Für Lisa Winter ist mit dem Festival ein Lebenstraum in Erfüllung gegangen. Aber es geht nicht nur um ihre Träume. Sie sagt: „Ich vernetze gerne Menschen und helfe ihnen, ihre Träume zu verwirklichen.“
Ich wünsche Ihnen viele Assoziationen und angenehme Begegnungen – mit sich selbst und mit anderen.
Herzlichen Dank.
Gemaltes aus dem Unbewussten.
Lisa Winter ist Künstlerin und Diplompädagogin sowie Psychotherapeutin. Dies begründet ihre besondere Art zu malen. Während ihres Studiums besuchte sie die Seminare des Psychoanalytikers und Soziologen Alfred Lorenzer. Dieser entwickelte die Tiefenhermeneutik. Eine Arbeitsmethode die der Kraft des Unbewussten vertraut. Das heißt: Man lässt sich mit Empathie auf ein Geschehen ein, überlässt sich dem Unbewussten mit der Technik der freien Assoziation und wird überrascht von erstaunlich umfassenden Ergebnissen.
Auch in der psychotherapeutischen Tiefenanalyse vertraut man der Kraft des Unbewussten. Der Klient berichtet, lässt sich ebenfalls leiten durch freie Assoziation. Der Analytiker hört zu. Die besondere Technik, die dabei angewandt wird, nennt sich frei schwebende Aufmerksamkeit. Das meint: der Zuhörer geht ganz in die Empathie und bleibt passiv bis ihn Irritationen aufmerken lassen. Dann schaltet er sich ein, stellt Fragen, weist auf Widersprüchliches hin. So werden im Dialog komplexe Zusammenhänge sichtbar. Verlorenes und Abgespaltenes kann wieder gefunden, verstanden und integriert werden.
Dies wendet Lisa Winter bei ihrem künstlerischen Schaffen an. Das heißt, sie lässt sich ein auf das was von außen kommt. Wenn sie irgendwo ist sieht sie manches was sie in besonderer Weise anspricht. Sie wird darauf aufmerksam und lässt sich inspirieren. Gefundenes und Mal-Materialien wirken motivierend und sie lässt es zu.. Durch die Empathie entwickelt sich ein Prozess, der einem Dialog zwischen außen und innen eröffnet. Angeregt durch das Vorhandene entsteht die Lust eine Linie zu malen, eine Farbe einzusetzen. Weitere Linien und Farben kommen hinzu. Bildfragmente entstehen, regen zu neuen Reaktionen an und so weiter…
Desto länger sie malt, desto intensiver versinkt sie mit Absicht in diesem Spiel. Lässt sich mehr und mehr tragen von diesem Prozess des Schaffens. Eine Arbeit ganz im Hier und Jetzt. Voller Konzentration und Entspannung zugleich. Gleichsam einem spielerischen Tanz entwickelt sich das Bild, wird immer wieder verändert aufgrund von Irritationen, die neue Reize setzen. In der Auseinandersetzung mit dem Bild werden Farbschichten auf Farbschichten aufgetragen. Manchmal bleiben Fenster oder Risse im Neuen und das vorher Geschaffene scheint an diesen Stellen durch. Das Gemälde wird rauer und körniger. Fast unbemerkt verlässt es das Zweidimensionale. Plötzlich ist das Bild fertig.
Lisa Winter schaut sich das Ergebnis an und wie in Wolkenbildern am Himmel sieht sie unvermittelt Traumgestalten, Gesichter, Tiere, Gegenstände und so bekommt das Bild seinen Namen. Manchmal auch mehrere. Denn je nachdem wer das Bild betrachtet und von welcher Perspektive wird es unterschiedlich gesehen. Teilweise kann das Gemalte auch auf den Kopf gestellt werden oder auf die Seite. Manches ist möglich. Auch die Signatur ist so ein Spiel mit fremd anmutenden Zeichen. Gleichsam ein Bild im Bild. Das geschaffene Kunstwerk zeigt darum Bilder aus einer Traumwelt und jedem bleibt frei zu sehen was er sehen will.
mein spiel mit der bildsignatur....warum mache ich das....es ist die freiheit die ich meine...die innere geistige offenheit..deswegen spiele ich auch mit der grammatik...und mit den bildrändern...aus dem bild hinaus drängen.. normen hinterfragen... grenzen überwinden...welche sind notwendig für die gute kommunikation..für die sozialen beziehungen...welche regeln sind zu starr und behindern dadurch gar ein gutes miteinander und ein gutes mit der welt umgehen...bewirken ein verfangensein..an gewohntes in einer art die geistige freiheit behindert...
das warum ist mir heilig...immer wieder hinterfragen...auch kritik hinterfragen.. nicht aufhören..
der autoritäre charakter lebt noch und ist gefährlich...zuviel wird unbesehen übernommen.. nachgeplappert....irgend eine behauptung steht plötzlich überall...einer hat etwas relativ gut begründet.. damit wird es legitim...und viele viele schießen sich darauf ein und übernehmen es... wie ein gesetz...
das ist gefährlich.. besonders wenn es einen menschen betrifft oder eine gruppe menschen der oder die verurteilt werden...immer mehr menschen schließen sich an und verurteilen mit...der öffentliche pranger wird wieder eingeführt...
beispiele von überständen:
oben details, darunter jeweils das vollständige bild
ein sündenbock ist geschaffen.. und die gemeinsame öffentliche verurteilung stärkt die kritiker... aber die am pranger werden geopfert...die justiz und die gesellschaft hat den pranger ja nicht umsonst abgeschafft...ihn als unmenschlich und folter entlarvt...nun ist er dennoch wieder da....
es gilt immer wieder kritisch zu fragen....warum...
sich nicht dem sog hinzugeben....denkend bleiben...fragend bleiben.....deswegen spiele ich mit den rändern meiner bilder...gehe über den rand hinaus...und schreibe alles klein..und mit pünktchen statt mit komma....ich versuche die offenheit zu erhalten.....auch bei der bildsignatur mache ich das...gestalte sie jedesmal neu...lasse sie selbst zum bild werden...und so male ich auch....so offen wie möglich...
ihre lisa winter
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